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*Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Mo 4. Mär 2019, 14:20
von thrifter
Moin liebe Fahrende,
Ich schreib das mal unter Technik Wave, weil das beim Test verwendete Fahrzeug eine Wave 110i war.
Gilt aber grundsätzlich genauso für Inno, Sucu und eigentlich alles mit Scheibenbremse vorn.

Ich wollte schon immer mal einen Grenztest mit der vorderen Scheibe machen. Erstens, um zu wissen, wo die Grenzen überhaupt liegen.
Zweitens, um den Einfluß des Wassergehaltes bei alter Bremsflüssigkeit zu "erfahren".

Vor kurzem hatte ich alles Notwendige auf einmal zur Verfügung:
-eine ca 60.000 km gelaufene Wave 110i, Bremsflüssigkeit 6 Jahre alt und noch nie gewechselt
-160 kg Beladung in Form von zwei fetten Mitteleuropäern und etlichem Gepäck
-eine Super-Teststrecke: knapp 1000 Höhenmeter auf etwas über 10 km Strecke, bei sehr wenig Verkehr und gutem Asphalt

Damit man sich eine bessere Vorstellung von der Steigung machen kann: die Wave ließ sich nur im ersten Gang und weitgehend Vollgas rauffahren.
An zwei Stellen mußte ich kurz umdrehen und nochmal kräftig Anlauf nehmen. Also alles in allem ziemlich grenzwertig.
Oben Aussicht genossen.
Das Testfahrzeug am höchsten Punkt der Teststrecke
Das Testfahrzeug am höchsten Punkt der Teststrecke
Jetzt also runter: Motorbremse im ersten und zweiten Gang gut ausgenutzt (ca. 30% der Bremswirkung), den Rest mit der vorderen Scheibe dauergebremst.
Die hintere Bremse einmal kurz angetestet (ja, funktioniert...) und dann tunlichst nicht mehr berührt.
Fahrgeschwindigkeit nicht über 30 km/h; das sollte ein Test sein und kein Selbstmordversuch...
Nach etwa 400 Höhenmetern bei starker Bremsbelastung zeigte sich eine deutliche Abnahme der Bremswirkung, etwa 30% weniger.
Das war dann wohl der Einfluß der heißen Scheibe und Beläge auf den Reibwert der Paarung.
Weitergemacht.

Nach etwa 800 Höhenmetern schlagartiger Ausfall der Bremse. Schlagartig heißt: ohne Vorwarnung, von einer Sekunde auf die andere, Null Bremswirkung und Bremshebel leer bis zum Anschlag durchgezogen.
Wenn Dir das an der falschen Stelle passiert, und Du die hintere Bremse mit ihrer begrenzten Wirkung schon "aufgebraucht" hast: R.I.P. :twisted:
Jetzt also sofort angehalten.

Bremsscheibe strahlte nicht übermäßig Hitze ab, zischte aber schon beim Draufspucken.
Auch nach 5 Minuten Abkühlung ließ sich der Griff noch leer durchziehen; da waren die Gasblasen sicher schon weg.
Bremse hatte sich wohl also auch etwas normale Luft reingezogen.
Also langsam 30-40 Mal den Griff durchgezogen, wie beim Entlüften. Nach ein, zwei Minuten kam der Druckpunkt langsam zurück.
Nach einer weiteren Viertelstunde war alles wieder gut; also langsam bis nach unten weitergefahren.

Fazit 1: das Wasser in alter Bremsflüssigkeit kocht also wirklich irgendwann. (Ja, ja, weiß ja jeder, aber ich wollte es halt auch mal fühlen...)
Fazit 2: auch mit alter Suppe in der Bremse passiert das erst ziemlich spät. Solch eine Belastung habe ich in 40 Jahren noch keiner Bremse zugemutet.
Fazit 3: Wer wirklich solche Extrem-Bremsaktionen macht (Sport?), sollte an den 5€ für Bremsflüssigkeitswechsel nicht sparen.

Wer schon öfters Prüfstandsphotos mit rotglühenden Bremsscheiben gesehen hat und deswegen seiner Bremse viel Vertrauen entgegenbringt, sollte nochmal kurz darüber nachdenken, daß die Temperatur der Bremsflüssigkeit an den Kolben ja nur mal kurz über 100°C gehen muß, damit der Wassergehalt zum Kochen kommen kann. Was sind 100°C? :?

So, das war's. Und denkt dran: Ich hab das ausprobiert, damit IHR das NICHT machen müßt... :motzen:

Gruß
Reinhard

PS: 1ml Wasser (das ist ein Würfel mit 1cm Kantenlänge) ergibt 1,6 LITER Wasserdampf!

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Mo 4. Mär 2019, 15:01
von sivas
Was ist das: "Bremsflüssigkeit" ?
Hat meine Inno das auch ?
Eigentlich ein Widerspruch: 'ne Flüssigkeit zum Bremsen :stirn:

Danke für den Versuch !

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Mo 4. Mär 2019, 17:40
von Trabbelju
thrifter hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 14:20
-160 kg Beladung in Form von zwei fetten Mitteleuropäern und etlichem Gepäck
Naja, da habe ich schon ganz andere Brummer gesehen.
Mit Gepäck und Klamotten und insgesamt 160 kg Beladung tippe ich eher auf zarte Mitteleuropäer.
thrifter hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 14:20
Jetzt also runter: Motorbremse im ersten und zweiten Gang gut ausgenutzt (ca. 30% der Bremswirkung), den Rest mit der vorderen Scheibe dauergebremst.
Da liegt für einen Überlastungstest der erste strategische Fehler: Du hast die Motorbremse genutzt.
Es gibt Spezialisten, denen der Sinn einer Motorbremse nicht ganz klar ist. Die fahren weniger steile Gebirgsstrecken bergab mit einer Dauerbremse, natürlich hinten, und beschweren sich dann in Foren über unterdimensionierte Bremsen, die schnell ausfallen...
thrifter hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 14:20
Wer wirklich solche Extrem-Bremsaktionen macht (Sport?), sollte an den 5€ für Bremsflüssigkeitswechsel nicht sparen.
Und auch keine BMW 12er GS mit ABS und Bremskraftverstärker fahren.
Wenn in den Bergen zum Beispiel der Teerbelag vor einer Spitzkehre wellig aufgeworfen ist, dann kann es passieren, daß beim starken Bremsen das ABS durch den welligen Belag nicht regelt, nicht eingreift und das Motorrad trotz Bremsen eben auch nicht verzögert.
Das wird dann traumatisch für den einen oder anderen...

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Mo 4. Mär 2019, 18:13
von thrifter
Trabbelju hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 17:40
Da liegt für einen Überlastungstest der erste strategische Fehler: Du hast die Motorbremse genutzt.
Hmm, ich versteh nicht ganz, was Du mir sagen willst. Ich wollte doch nicht den dümmsten anzunehmenden User simulieren.
Ich wollte sicherstellen, daß ich beim (erwarteten) Ausfall der Scheibenbremse genug Reserve habe, um die Fuhre mit hoher Sicherheit sofort zum Stehen zu bringen. Ohne Motorbremse wäre das aber eng geworden... Und für Leute, die den Gebrauch des Verstandes durch ABS ersetzen, schreib ich hier eh nicht...
LGR

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Mo 4. Mär 2019, 18:17
von Brämerli
Was geschieht denn in dem Fall eigentlich in der Bremsleitung, im Bremssystem? Der Dampf entwickelt so viel Druck, dass die Bremsflüssigkeit aus dem System gedrückt wird (duch den Bremszylinder?) und ist anschliessend leer, bis dann wieder Bremsflüssigkeit aus dem Reservoir nachgepumpt wurde? Oder was? Dicht kann das Bremssystem ja kaum bleiben, bei dem zusätzlich entstehenden Druck durch den Wasserdampf. Kaputt gehen auch nicht, in dem Fall würde die Bremse ja nicht wieder Bremsdruck aufbauen können. Überdruckventil? Hätte ich noch nie von gehört.

Danke für den Bericht Thrifter. :prost2:

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Mo 4. Mär 2019, 18:21
von Trabbelju
thrifter hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:13
Hmm, ich versteh nicht ganz, was Du mir sagen willst.
Ich habe das überspitzt ausgedrückt, eine Motorbremse hilft natürlich, den Ausfallzeitpunkt der Bremse hinauszuzögern.
Wie bei einem Versuch denkbar wäre es ja auch möglich gewesen, daß du die Strecke mit Unterstützung durch die Motorbremse herunterkommst ohne Bremsausfall.
Was hättest du dann gepostet ?

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Mo 4. Mär 2019, 18:31
von Bernd
Ich hatte auch mal ein Bremsversagen Erlebnis.
Vor zig Jahren waren zwei Freunde und ich mit einem Mercedes 240 Diesel, 123er, und drei Mountainbikes auf dem Dachständer, unterwegs am Gardasee.
Bei einer flotten Fahrt Passabwärts, flott bergauf ging mit dem 240er nicht, tritt der Fahrer das Bremspedal ins Leere. Panik! Runterschalten und in einem Waldweg ausrollen lassen. Die Radkappen waren heiß wie Herdplatten.

Nach ca. 10 Minuten sind wir, mit wieder funktionierenden Bremsen, weiter gefahren. Diesmal sehr moderat mit viel Motorbremse.

Gruß
Bernd

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Mo 4. Mär 2019, 18:48
von thrifter
Brämerli hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:17
Was geschieht denn in dem Fall eigentlich in der Bremsleitung, im Bremssystem?
Ich stell mir das so vor: solange die Bremse unter konstantem Druck steht, passiert erstmal gar nichts, weil das Wasser bei hohem Druck auch nicht verdampft. Erst in dem Moment, in dem man für einen Sekundenbruchteil den Hebel losläßt und der Druck im System abfällt, verdampft dann (ein bißchen) Wasser schlagartig und drückt die Bremsflüssigkeit durch den dann offenen Kanal in den Behälter hoch. Da oben ist ja immer etwas Luft über der Flüssigkeit, die sich komprimieren läßt. Schwupp, hast Du unten Dampfblasen und keine Bremswirkung mehr.
Oben hast Du wahrscheinlich durch den Druckstoß ein verquirltes Luft/Bremsflüssigkeitsgemisch, und wenn Du dann verzweifelt nachpumpst, kriegst Du noch zusätzlich Luft von oben rein, so daß das System nach Abkühlung erst mal neu entlüftet werden muß.
Spezzialisten können das vielleicht besser erklären; mir reicht es, das Ergebnis zu kennen. :aetsch1:
LGR

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Mo 4. Mär 2019, 19:33
von Innova-raser
Wegen solchen Postings würde ich es bereuen wenn ich dem Forum endgültig den Rücken gekehrt hätte. Man würde ganz spannende Dinge verpassen!

Super gemacht Reinhard! :up2:

In der Theorie war mir, wie wahrscheinlich vielen anderen, das auch klar. Aber im praktischen Leben denkt man wohl eher das sowas nicht passiert.

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Mo 4. Mär 2019, 19:55
von Low Budget
Superspannend - danke!!
Grüße
Udo

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Mo 4. Mär 2019, 20:03
von Harri
Meine Arbeitshypothese ähnelt Reinhardts Erklärung und lautet mit etwas anderen Worten:
Ein Wasseranteil geht beim Überschreiten der Temperatur schlagartig aus der nicht komprimierbaren Flüssigphase in die vom Volumen her wesentlich größere komprimierbare Dampfphase über. Sowie das Schnüffelventil in der Bremspumpe freigegeben wird, geht Volumen an Bremsflüssigkeit in die Bremspumpe und stattdessen habe ich dann Luft im System.
Bei der nächsten Bremsung gibt es gar keinen Druckpunkt mehr, weil ich um Druck zu erzeugen, beim Pumpen dann für das nächste komprimieren der Luft mehr Volumen erzeugen muß als meine Pumpe schafft.

Der Rückweg also Luft/Dampf in Wasser beim Abkühlen ist nicht ganz so effektiv, sodaß ich dann beim Bremsen immer noch etwas Luft im System habe und das kann ich aber komprimieren, wel es weniger Gasvolumen hat und jetzt erstmal die Förderleistung der Pumpe ausreicht. Die Bremsen ist dann halt weich und hat keinen richtigen Druckpunkt mehr.

So zwei kleine Beispiele nebenbei wo das eine Rolle spielt.
Fast alle, die auf Stahlflexleitung wechseln berichten davon, daß sie auf einmal einen knackigen Druckpunkt haben und begründen das mit den Stahlflexleitungen. Aber nicht alle bestätigen das.
Normalerweise tauscht jemand erst die Bremsleitung, wenn die Bremse faul ist. Natürlich hat er hinterhetr auch einen knackigen Druckpunkt wenn er alleine die alte Plörre abläßt und frische Bremsflüssigkeit auffüllt und vernünftig entlüftet. Der Anteil des besseren Druckpunktes durch Stahlflexleitung ist deshalb auch deutlich geringer, als man meint.
Die Leute, die Stahlflex wechseln, weil man das halt so macht und vorher eine gut gewartete Bremse schon hatten, sind dann die, die wenig Unterschied im Dreuckpunkt spüren.

Beim Rundstrecken- und Bergrennenrennen muß in den seriennahen, also nicht freien Klassen entsprechend dem Reglement vielfach mit vollkommen überforderten originalen Bremsen gefahren werden und da ist es quasi Pflicht mit einer Bremsflüssigkeit zu fahren, die einen höheren Siedepunkt hat und häufig wird zwischen den Läufen zwar nicht immer der ganze Saft, aber zumindest der Anteil der im Sattell die höchsten Temperaturen bekommt abgezogen und nachgefüllt, also getauscht.

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Mo 4. Mär 2019, 20:43
von sholloman
Sauber erklärt, danke.

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Di 5. Mär 2019, 01:02
von Done #30
thrifter hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 18:48
Ich stell mir das so vor: solange die Bremse unter konstantem Druck steht, passiert erstmal gar nichts, weil das Wasser bei hohem Druck auch nicht verdampft. Erst in dem Moment, in dem man für einen Sekundenbruchteil den Hebel losläßt und der Druck im System abfällt, verdampft dann (ein bißchen) Wasser schlagartig und drückt die Bremsflüssigkeit durch den dann offenen Kanal in den Behälter hoch.
Harri hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 20:03
Meine Arbeitshypothese ähnelt Reinhardts Erklärung und lautet mit etwas anderen Worten:
Ein Wasseranteil geht beim Überschreiten der Temperatur schlagartig aus der nicht komprimierbaren Flüssigphase in die vom Volumen her wesentlich größere komprimierbare Dampfphase über.
Das habt ihr beide sehr logisch erklärt. Das Problem ist, das schlagartige Verdampfen bei hoher Temperatur in Kombination mit nachlassenden Druck. Man kann auch nicht reinsehen und vorausahnen, wann dieser Punkt erreicht ist. Danke für diesen aufrüttelnden Test. Muss auch mal wieder nach meiner Bremse schauen.

Wer mal eine Küche gesehen hat, wenn am Sicomatic das Überdruckventil verstopft war und die Hausfrau trotzdem den Deckel öffnen konnte, erkennt die Gewalt von überhitzten Dampf. Schaut nicht gut aus und gibt üble Verbrühungen
Hier nachgestellt

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Di 5. Mär 2019, 07:08
von DonS
Danke, für die Mühe den wichtigen Test auszuführen.
Es zeigt, ganz so verkehrt sind unsere Pickerl-Prüfer mit ihrer, manchmal schon übertrieben wirkenden Bremsflüssigkeitsmesserei ja nicht.
Ich vermute dieser Thread wird im Forum zu einigen Bremsflüssigkeitswechseln führen und seitenlange Diskurse über dabei passierte Fehler und verlorene und nie wieder gefundene Druckpunkte auslösen.

Re: *Überlastungstest vordere Scheibenbremse bis Ausfall*

Verfasst: Di 5. Mär 2019, 10:31
von Tranberg
Harri hat geschrieben:
Mo 4. Mär 2019, 20:03
....... Natürlich hat er hinterhetr auch einen knackigen Druckpunkt wenn er alleine die alte Plörre abläßt und frische Bremsflüssigkeit auffüllt und vernünftig entlüftet. Der Anteil des besseren Druckpunktes durch Stahlflexleitung ist deshalb auch deutlich geringer, als man meint.
Die Leute, die Stahlflex wechseln, weil man das halt so macht und vorher eine gut gewartete Bremse schon hatten, sind dann die, die wenig Unterschied im Dreuckpunkt spüren.
...
Mit Gummileitungen kann man zwischen Daumen und Zeigefinger fühlen wie der Leitung anschwillt. Das macht was aus bei fast 1 Meter Gummileitung.