Deutschland ist schön. Man muss nur mal runter von der Autobahn und den Blick für die Details schärfen. Da ein schöner Flusslauf. Dort eine schöne Alleenstrasse. Da hinten eine Pferdekoppel. Neidisch blicke einigen Kanuten nach, die gleichmäßig ihre Paddel durch das Wasser ziehen. Das Land wird allmählich flacher. Die Gebäude haben immer öfter Klinkersteine.
Die Bauernhöfe wachsen zu Rittergüttern. Die Strasse werden immer gerader und ändern dann plötzlich rechtwinkelig ihren Verlauf. Neben der Strasse tauchen Entwässerungsgräben auf. Ich fühle mich wie –da taucht auch noch tatsächlich eine richtige Windmühle auf- nach Holland versetzt. Motorradfahrer kommen mir entgegen, grüssen mich. Ich erwidere den Gruss. Ich gruesse auch einen Rollerfahrer. Verblüfft guckt der sich um und fährt fast in den Graben. Ich meine zwei Räder sind zwei Räder. Warum kleinere PS-Klassen diskriminieren ?
Und überhaupt, viele Motorradfahrer grüssen, solange man am noch am Rollen ist. Beim Tankstopp wird stur aneinander vorbeigeschaut. Ist der Helm wieder aufgesetzt, wird zum Abschied gegrüßt. Häh – was soll das?
17 Uhr. Ich nähere mich dem Nachtlager: eine Jugendherberge im Mardorf am Steinhuder Meer habe ich mit ausgesucht. Oh, was ist hier los? Kein freier Parkplatz mehr da. Rückstau fast bis auf die Strasse. Ich quetsche mich auf dem Fußweg vorbei. Nehme den Helm ab. Gospel-Songs durchdringen meine vom Boxerdröhnen klingende Ohren. (Die Innova ist da viel, viel angenehmer- aber das wisst ihr ja). Ich stelle mich in die Schlange an der Anmeldung. Komme dran. Man bittet mich ein Formular auszufüllen. Oh, Sie haben nicht vorreserviert? Das tut uns leid. Wir sind vollkommen belegt. Irgendwie hatte ich so etwas schon geahnt, bei dieser Parkplatznot. Was jetzt? Das Treckerrennen ist auch bald zu Ende. Ich sehe mich im Geiste schon wieder umdrehen. Nein, das kann’s nicht gewesen sein! „Ich habe auch ein Feldbett dabei“, wage ich zu protestieren. „Eine Besenkammer tut’s auch“, ruft ein Schmunzeln auf das Gesicht der sichtlich gestressten Herbergsmutter. „Naja, draußen haben noch ein Zeltlager mit einer Gruppe Windsurfern – vielleicht…
Ein 10-Mann – Zelt ist noch frei. Wir werden uns alle schnell einig: statt die Mattratze aus dem Haupthaus auf den Platz zu schaffen werde ich mein Feldbett benutzen und bekomme Bettwäsche, Kissen, Decke und Zudecke gestellt. Das ganze um 10 EUR billiger als im Haupthaus. Dazu gibt’s eine unbegrenzte Sperrzeit. Das Haupthaus schließt dagegen um 22 Uhr.
Heiße Duschen 15m hinter dem Zelt. Parkplatz 40cm vor dem Zelt. Was will man mehr !
Die ganze Fahrt über dachte ich an das im Internet gepriesene Kuchenbuffet der Landfrauen. Na, davon wird wohl nichts mehr übrig sein. Bis jetzt habe ich nämlich noch nichts gegessen, um noch rechtzeitig bei der JH einchecken zu können. Das Rennen ist wohl auch vorbei. Eigentlich kann ich gleich hier in der JH bleiben und mit zu Abend essen.
Quatsch. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Jetzt noch die letzte Etappe in Angriff genommen: 37 km nach Vesbeck. Schon von weitem sehe ich einen Kranwagen mit irgendeinem Reklame-Auto in luftiger Höhe. Wieder sind die Straßen zugeparkt. Ich nähere mich also dem Ziel. Da ist das Feld, wo Mini-Trecker in allen Farben zwischen Heuballen auf einem Acker umeinander schießen. Dieser Weg scheint eine Abkürzung zum Event zu sein. Ein Bauer guckt verdutzt, als die die beladene Maschine in seinem Vorhof hin und her rangiere. Mit der Inno hätte ich den Feld-Fußweg benutzen können, mit der BMW wären mindestens die Koffer hängen geblieben, dann hätte sich die Kuh ins Gras gelegt. Nee, nee. Besser wenden.
Vor einem der vielen Eingänge (kostenloser Eintritt !!!) parke ich und schlendere im Fahrerlager zwischen den aufgestellten Partyzelten mit den Rennmaschine und den Mechanikern. Super Stimmung. Allen macht’s Spaß. Man spürt: Dabei sein ist alles. Ein Sieg muss nicht sein, wäre aber das I-Tüpfelchen und Lohn für die -zig Stunden an Vorbereitung. Andreas’ Team Hampe-Racing finde ich nicht. Nur Teams wie schwarze Witwen, Kümmerlinge, Ratata, Stoppelhoppser, Wildschaden oder Höllentaxi. Die Typen sind schon irgendwie urig.
Neben Kinderkarussel und gebrannten Mandeln finde ich den Eingang zum Tortenbuffet der Landfrauen. Es ist noch mehr als genug da. Ich entscheide mich für eine Käse-Sahne-Stück mit Mandelsplittern. Sehr lecker. Am liebsten würde ich von jedem Kuchen probieren. Die Vernunft siegt. Draußen machen sich die Trecker für ein weiteres Rennen bereit. Ich staune über die Gefährte. Das waren einmal nüchterne Rasenmäher ?!? Kaum vorstellbar. Eine offene Harley ist kaum lauter. Ich passe einen Moment nicht auf und mir fährt fast ein 4-jährig Knirps über die Füße. Doch mit was ? Ein liebevoll umgebauter Trecker im Lilliput- Format !!! Stolz dreht der Kleine zwischen den Großen im Fahrerlager seine Kreise unter dem stolzen Blick seines Vaters.
Plötzlich ruft jemand meinen Name und eine mir unbekannte Frau stürzt auf mich zu. Die kann nicht mich meinen. Ich denke ich bin 500 km von daheim und keinem habe ich gesagt, wo ich hinfahren werde. Doch sie kommt konsequent auf mich zu. „Du bist der Lothar“, so werde ich zum Hampe-Racing-Team und zu Andreas geführt, der mich freudig- überrascht empfängt, umgeben von zwei bildhübschen jungen Frauen. Donnerwetter. Der Mann versteht’s zu leben, denke ich. Schnell klärt sich der Irrtum auf: Die Frauen sind schon vergeben und begleiten lediglich ihre Männer, die hier als Mechaniker ihren Dienst verrichten.
Andreas weiht mich im Schnelldurchgang in die Rennregeln ein. Ich gucke mir das alles Entscheidende letzte Rennen an. Mit Eifer und vollem Einsatz und trotzdem fair kämpfen die Teams um die Plätze. Hampe-Racing kann mit dem Sieg dieses Rennens den Gesamtsieg davontragen. Alle Hoffnungen liegen auf dem roten Trecker mit der Nummer 9. Ich versuche ein paar Fotos zu machen, verwackle vor Aufregung, bin mit dem Foto noch nicht so vertraut- egal.
Die Bahn ist mittlerweile ziemlich ausgefahren und das Fahren über die Längst- und Querrillen gleicht einem Rodeoritt auf einem wilden Stier. Und wie ihr sehen könnt, nebenbei haben die Fahrer den Rasen auf unorthodoxe Weise mit ihren grobstolligen Reifen auch getrimmt.
Was soll ich sagen, Hampe-Racing gewinnt! Und ich konnte sie mit anfeuern! Mit Malzbier stoßen wir auf den Gesamtsieg an. Die Feuerweg zaubert einen große Matschpfütze auf den Acker. Einige unverwegene Rennfahrer legen Matsch-Burnouts auf den Acker, Drehen kunstvolle Pirouetten. Der Schlamm spritzt von den Reifen in die Zuschauermenge, die aufkreischt. Am Rand erscheint ein Vollschlanker, der sich bäuchlings in den Matsch wirft und so noch 3 Meter rutsch. Er erntet tosenden Beifall.
Ich hole mir noch eine Erbsensuppe aus der Gulaschkanone, die an einem „normalen“ Traktor hängt. Es wird langsam dunkel und ich muss noch zurück in die JH. Ich helfen noch ein bisschen beim Verladen und verabschiede ich mich vom Team, das mich sehr herzlich aufgenommen hat.
Durch das Visier, bedeckt vom einem Mückenflaum kann ich in der Dunkelheit kaum noch etwas erkennen. Echt gefährlich. Gegen 22Uhr erreiche ich die JH. Parke vor meinem Zelt und komme noch in den Genuss vom Lagerfeuer und Musik der Windsurfergruppe.
Nach der heißen Dusche liege ich auf meinem Feldbett und denke, dass es sich mal wieder –trotz aller Widrigkeiten- gelohnt hat den inneren Schweinehund zu überwinden und loszuziehen.
Nach einem reichhaltigen Frühstück geht’s am Sonntag wieder zurück nach Hause. Bei Kilometer 30 stutze ich. Da kommt mir doch mit einenm Affenzahn eine Innova entgegen! Naja, du fährst ja auch 120km/h auf der Landstrasse. Ein großes Motorrad verleitet zu vielen Dummheiten. Bis ich mich von meiner Überraschung erholt habe, ist die Innova im Rückspiegel verschwunden. Nee, nee mein Freund. So geht das nicht. Von wegen „ich habe eine Innova gesehen – Thread“. Das gucken wir uns mal genau an. Mit den breiten Koffern mache ich eine gewagte 180° Kehre auf der Straße und jage zurück. Mit 140. Da ist sie. Biegt gerade nach rechts ab. Ich hinterher. Auf gleicher Höhe mit dem Fahrer brülle ich einen Gruß hinüber. Er deutet auf seine Ohren- versteht Bahnhof. Hält an. Ich, Hallo, bist du im Innova- Forum? Er, nein, ich habe doch eine Address.
Ich, macht nichts, wird auch toleriert- ist ja quasi baugleich. Bald sind wir in ein nettes Gespräch verwickelt und kümmern uns nicht um die hupenden Autofahrer, die mitten auf der Landstraße einen Bogen um uns fahren müssen. Ich bekomme noch den Tipp zur Technikausstellung nach Hildesheim zu fahren und wir verabschieden uns mit den besten Wünschen.
Tja, wenn ich mir mehr Zeitpuffer eingeplant hätte, hätte ich manches Interessante am Wegesrand noch sehen, treffen, unternehmen, erfahren können.
Man sollte aus seinen Fehlern lernen denke ich und gelobe für das nächste Mal Besserung.
Zu Hause angekommen geht mir durch den Kopf,
auch wenn Andreas jetzt schmunzeln wird,
es war gut, dass ich das Feldbett dabei hatte. Und nächstes Mal packe ich auch noch den Schlafsack mit ein.
Sonntag abend 21 Uhr.
Ich sitze bei einer Tasse heißen Tees.
Draußen gießt es in Strömen.
Verdammt viel Dusel gehabt, denke ich.