Neue Geschichten von Männern in grauen Kitteln
Da ja bekanntermaßen auf den versprochenen Weltuntergang kein Verlaß war, blieb mir nichts anderes übrig, als mit der Inno doch noch zur Hauptuntersuchung zu fahren.
Vorbereitet war sie schon (sprich so gut wie in den Originalzustand zurückversetzt) und mit zwei nagelneuen Heidenau K58 versehen. Unterlagen dazu ausgedruckt und gut ist.
Also frohgemut 20 km nach Aurich zur Dekra gefahren.

Ankunft 11 Uhr.
Kein Problem, sagte die freundliche Dame am Empfang, warten Sie ein wenig, dann kommt der Prüfer.
Nun ja, ‚ein wenig‘ waren etwa eineinhalb Stunden; :sleep: aber das Wetter war ja gut und die Sonne schien.
Dann erschien der Herr im grauen Kittel.
„Das sind aber nicht die Orischinolreifen!“
„Nein, hier, bitteschön, die Bescheinigung.“
„Ach so, Heidenau…. Na die geben ja überhaupt alles frei…“ Weiterstudier…
Au weia, dachte ich so bei mir, das kann ja heiter werden…
„Nee, das geht aber nicht mit dem Vorderreifen hier; das stimmt nicht!“
„Äh, wieso, was stimmt denn da nicht?“
„Nun, das Gutachten ist für einen Reifen mit der Größe 2.75. Sie haben aber einen Reifen der Größe 2 ¾ aufgezogen!"
Ich (erstmal sprachlos, dann ganz freundlich): „Was ist denn da der Unterschied?“
„Nun, der Reifen, den sie da aufgezogen haben, ist nur für Leichtkrafträder zugelassen!“
Ich, immer noch freundlich: „Das ist doch ein Leichtkraftrad!“
„Äh,… Aber der darf nur bis 100 km/h gefahren werden!“
Ich: „Wenn Sie da mal oben rechts auf diesen grünen Schein schauen wollen; dieses Fahrzeug hat eine eingetragene Höchstgeschwindigkeit von 94 km/h!“
„Äh… trotzdem… Das kann ich so nicht abnehmen. Der hintere, der ist in Ordnung, da steht ja 3.00 drauf!"
Ich: „Na gut, dann fahr ich eben nach Hause und baue den Originalreifen ein."
Er: „Ja, das ist wohl das Beste…“
Also schiggerte ich gemütlich im inzwischen strömenden Regen nach Hause zurück,

zog ein Innorad mit ‚Orischinol‘-Dunlop aus dem Regal und baute es ein. Dann wieder zurück.
Graukittel hatte inzwischen Mittagspause; aber ich mußte nur eine halbe Stunde warten.
Dann erschien er wieder.
Ich: „So, bitteschön, hier also die Originalbereifung!“
Er: „Ja, da muß ich aber nochmal die Bescheinigung wegen des hinteren einsehen… Hmmm, ähh, Nee, das geht so auch nicht…“
Ich, leichtes Flattern in der Stimme: „Was geht so auch nicht?“
Er: „Die dürfen nur paarweise gefahren werden!“
Ich (tief durchatmen, nicken, lächeln, Arschloch denken…): „ Na gut, dann fahr ich eben NOCHMAL nach Hause und baue auch den HINTEREN Originalreifen ein. SIND JA NUR 40 KM…“
Er: „Ja, das ist wohl das Beste…Ich bin heute aber nur bis 18 Uhr hier…“
Nochmal nach Hause,

es regnet immer noch. Hinterrad aus dem Regal gezupft, auch eingebaut, wieder zurück.
Jetzt war er zufrieden, fand sonst nichts mehr, registrierte weder den Zahnriemenantrieb noch die Seitenwagenanschlüße noch das wegen der Kellermänner überklebte Rücklicht der Inno.
Seine Abschiedsworte waren dann: „Sie können die anderen Reifen ruhig fahren, technisch sind die ok. Nur abnehmen darf ich es halt nicht…“
Ich dachte an das Schild, das mein Kollege in seinem Büro aufgehängt hat:
„Lächle! Du kannst sie nicht alle töten…“
Mit frischer Plakette zurück nach Hause; und noch eine Stunde Räder rücktauschen.
Dann zog ich wie folgt Bilanz:
062€ Abnahmegebühren
004€ für 123 km Innofahren
138€ für 6 Stunden Verdienstausfall
204€ Gesamtkosten :drunk2:
Ich beglückwünschte mich zu meiner nachgerade buddhahaften Friedfertigkeit, die ich an den Tag gelegt hatte. :eiei:
Und 204€ sind doch ein geringes Lehrgeld, wenn ich daran denke, daß ich jetzt etwas kenne, was mir weder Mathe-LK noch Unistudium beigebracht hat: den Unterschied zwischen 2.75 und 2 ¾. :blah:
Gruß
Reinhard